Kultur
„Pension Schöller“ am Staatstheater Kassel
Realitäten, Absurditäten und Irrsinn
(Quelle: N.Klinger)
„Ich würde niemanden verurteilen, der ein bewohntes Asylantenheim anzündet!“ … „Immerhin haben wir jetzt so viele Ausländer im Land, dass sich ein Holocaust mal wieder lohnen würde.“ … „Dem Flüchtling ist es doch egal, an welcher Grenze, an der griechischen oder an der deutschen, er stirbt." … Homosexuelle ins Gefängnis - „Das sollten wir in Deutschland auch machen.“ Haben wir es hier mit Aussprüchen von Irren, dem viel zitierten bösen Onkel oder Bühnenfiguren zu tun?
Der wohlhabende Gutsbesitzer Klapproth bittet seinen Neffen Alfred, verbunden mit dem Angebot diesen finanziell zu unterstützen, ihm die Möglichkeit zu verschaffen, eine Irrenanstalt zu besuchen, um dort „echte Irre“ zu erleben. Da Alfred die notwendigen Verbindungen fehlen, bittet er seinen Onkel in die Pension Schöller, deren Gäste derart exzentrisch erscheinen, dass sie mit ihrem Auftreten durchaus als „irre“ gelten könnten.
In der Tat überkommen seinen „durch die Brille des Vorurteils“ blickenden Onkel keinerlei Zweifel, sich in einer echten Irrenanstalt zu befinden. Er befriedigt seine voyeuristischen Wünsche und amüsiert sich angesichts eines paranoiden Kammerjägers, des unter einer Merkel-Allergie leidenden Polizisten oder eines Schauspielers mit Sprachfehler prächtig.
Die beiden Lustspielautoren Wilhelm Jacoby (1855 - 1925) und Carl Laufs (1858 - 1900), der seine letzten Jahre in Kassel verbracht hat, verfassten eine Reihe karnevalistischer Texte und Bühnenstücke, darunter auch ihr bekanntestes Werk „Pension Schöller“, das 1890 in Berlin uraufgeführt und in der Folge mehrfach verfilmt wurde, sowie regelmäßig für Lachsalven in Theatern sorgt.
Regisseur Thomas Jonigk legt die Textvorlage sehr frei aus, lässt dem Stück eine grundlegende Bearbeitung zukommen, verlegt es in die heutige Zeit und formt die ursprünglich harmlose Komödie zu einer Farce um, in der die Abgrenzungen zwischen Realität, Irrsinn, Absurdität und Trugbildern kaum mehr auszumachen sind. Aus den ursprünglich liebenswert verschrobenen Protagonisten sind in der Kasseler Version aufbrausende Wutbürger geworden.
Wer als Zuschauer den Theatersaal in der Erwartung betritt, einen Abend mit einem Pointenfeuerwerk und Lachtränen in den Augenwinkeln zu erleben, wird enttäuscht werden, denn als Komödie funktioniert die vorliegende Fassung nur bedingt. Dafür fehlt es der Inszenierung an Tempo. Schwingende Türen und sich rasant überschlagende Pointen sind an diesem Abend nicht zu erleben.
Das mangelnde Tempo sowie die geltenden Abstandsregeln auf der Bühne mögen auch die Ursache dafür sein, dass das vergleichsweise karge Bühnenbild trotz des vielköpfigen Ensembles mitunter eigentümlich leer wirkt.
Das mangelnde Tempo sowie die geltenden Abstandsregeln auf der Bühne mögen auch die Ursache dafür sein, dass das vergleichsweise karge Bühnenbild trotz des vielköpfigen Ensembles mitunter eigentümlich leer wirkt.
Ein weiteres Problem der Inszenierung besteht in den mangelnden Möglichkeiten, sich als Zuschauer mit den Charakteren zu identifizieren. Einzig der von Meret Engelhardt wundervoll verkörperte Eugen Rümpel zeigt realistische menschliche Züge, während die anderen Figuren in unterschiedlichem Maße karikaturhaft überzeichnet sind. Was in einem Satireformat gut funktioniert, führt bei einem knapp zweistündigen Theaterstück dazu, dass dem Zuschauer das Schicksal der Figuren gleichgültig bleibt.
Vor knapp zwei Jahren hat ein ZDF-Reporter Bundestagsabgeordnete der AfD, die an diesem Theaterabend manch schallende Ohrfeige erhalten, mit Zitaten von Björn Höcke konfrontiert und gefragt, ob sie von Höcke oder von Adolf Hitler stammen. Die meisten der Befragten konnten sich nicht festlegen oder tippten gar auf Hitler. Dieses Fragespiel findet mit dem gleichen Ergebnis auch auf der Kasseler Bühne als Quiz statt. Es fällt schwer, die Aussprüche eindeutig zuzuschreiben. Die Zitate am Beginn dieses Artikels hätten ohne Weiteres in der „Pension Schöller“ fallen können, stammen jedoch allesamt von Abgeordneten der AfD – von realen Menschen, die in Parlamente gewählt wurden. Das ist in der Tat nicht lustig, sondern beängstigend.
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